Nähe per Klick: oder was ist ein „Virtual Intimate Object“?

Vor 20 Jahren stellten HCI-Forscher:innen vor, dass ein einfacher roter Punkt der per Klick auf dem Desktop der:s Partners:in erscheint und langsam verblasst, in Fernbeziehungen ein Gefühl der Nähe entstehen lassen kann.

 

Was ist ein Virtual Intimate Object?

Die Forscher:innen der Cornell University stellten in ihrem Artikel ein ungewöhnlich schlichtes Kommunikationswerkzeug für Paare in Fernbeziehungen vor: ein sogenanntes Virtual Intimate Object (VIO). Dabei handelte es sich um nichts weiter als einen kleinen Kreis in der Windows-Taskbar, der sich bei einem Klick rot färbte – und damit eine einzige Botschaft sendete: Ich denke an dich.

Wie funktioniert das?

Jede:r Partner:in installierte die Software auf dem eigenen Computer. Ein Klick auf VIO ließ einen Kreis beim Gegenüber hellrot aufleuchten. Die Farbe verblasste langsam über zwölf Stunden. So wurde mit einem einzigen Bit – einem Klick – Nähe hergestellt. Kein Text, kein Ton, keine Nachricht. Aber ein bewusst gesetztes Zeichen der Verbundenheit.

Der Feldversuch zeigte, dass die teilnehmenden Paare das VIO ganz unterschiedlich nutzen. Im Schnitt klickten sie 35-mal täglich –  manche Paare sogar über 100-mal. Die Bedeutung eines Klicks war dabei ganz individuell und von Paar zu Paar verschieden. Mal hieß es: „Ich bin wach“, mal „Ich bin bei dir“. Jedes Paar entwickelte eigene Praktiken, so dass der einfache rote Leuchtpunkt ganz unterschiedliche Bedeutung erhielt – und genau darin lag der Reiz.

Was macht einen einfachen roten Punkts als Virtual Intimate Object so besonders?

Dass ausgerechnet eine so reduzierte Form der Interaktion als besonders intim empfunden wurde, mag zunächst überraschen. Doch genau diese Reduktion – die Beschränkung auf ein einziges Signal – ermöglichte es den Paaren, ihre eigenen Bedeutungen zu vergeben. Die VIOs wurden nicht nur als Botschaft, sondern auch als Geschenk verstanden, ein digitales Pendant zum „Ich hab an dich gedacht“-Zettel auf dem Küchentisch.

Zudem berichteten die Paare, dass VIO ihnen ein Gefühl von Ko-Präsenz gab – als ob der oder die Partner:in im selben Raum sei. Ohne ein Gespräch zu stören oder Aufmerksamkeit zu fordern, signalisierte der rote Punkt: „Ich bin da“.

Unser Fazit

Der Artikel Communicating Intimacy One Bit at a Time wurde im April 2005 veröffentlicht – genau vor 20 Jahren. Und doch wirkt seine zentrale Erkenntnis aktueller denn je: Es braucht nicht immer große Worte oder ausgereifte Technik, um Nähe zu vermitteln. Manchmal reicht ein Klick. Die Studie zeigt auf eindrückliche Weise, wie stark symbolische, minimale Kommunikation wirken kann – gerade in Zeiten räumlicher Trennung.

In unserem Magazin ist dieser Beitrag ein historisches Fundstück, das deutlich macht: Das Bedürfnis nach Verbindung ist tief in uns verankert – und die HCI-Forschung beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren damit, kreativere Wege der Interaktion über Distanz zu suchen, umd unseren Wunsch nach Nähe und Verbundenheit technologiegestützt zu erfüllen.

Du interessierst dich für den Artikel von Kaye et al. (2005)? Hier entlang!