Am 12. und 13. Juni 2024 fand in Berlin das jährliche BMBF Vernetzungstreffen „Nähe über Distanz“ statt. Rund 90 Wissenschaftler*innen und Expert*innen trafen sich unter anderem mit 12 Bürger*innen, um gemeinsam über die aktuellen Projekte und deren gesellschaftliche Relevanz zu diskutieren.
Bürger*innenforschung beim BMBF Vernetzungstreffen in Berlin
Geballte Expertise und Inspiration
Nach der Begrüßung durch Dr. Katja Karrer-Gauß und Dr. Felicitas Muth vom Projektträger VDI/VDE-IT sowie einem Bericht von Prof. Dr. Marc Hassenzahl, Uni Siegen, zum Begleitforschungsprojekt VEREINT, bot Prof. Bill Gaver mit seinem Vortrag „Slow burn and long tail: my life with expressive communication devices” einen inspirierenden Einblick in seine langjährige Expertise mit emotinaler Interaktion über Distanz.
Er berichtete von seiner Forschung mit einfachen Geräten, die über das Internet Signale wie Licht, Bewegung und Geräusche senden und ihn seit Mitte der 90er Jahre begleiten, jedoch erst während der Pandemie so richtig an Bedeutung gewannen. Als „Yo-Yo Machines“ , einfache Geräte zum Selbstbauen, die er mit seinem Studio entwickelte und über das Internet anbot fanden diese breite Anwendung und wurden weltweit genutzt. Ein persönlicher Höhepunkt war seine Erzählung über die Erfahrungen mit „Light Touch“, einem einfachen Gerät, mit dem man farbige Lichtsignale senden kann, das er über drei Jahre mit seiner Mutter in Kalifornien nutzte.
Schon das Auspacken und die erste Installation des von Bill Gaver für seine Mutter gebauten und über den Atlantik verschickten Geräts, war eine erste Hürde, die Mutter und Sohn jedoch per Videokonferenz meisterten. Schnell etablierte sich Light Touch als freudvolles Ritual zwischen den beiden. Sie schickten sich täglich Lichtsignale – auch dann, wenn sie voneinander wussten, dass sie nicht zu Hause waren.
Wie bedeutsam und auch unverzichtbar diese einfache Interaktion für beide war, zeigte sich, als das Gerät der Mutter nicht funktionierte und sie insistierte, es gemeinsam mit ihrem Sohn per Videokonferenz zu reparieren. Bill Gavers anschauliche Erzählungen vom autobiografischen Einsatz von Light Touch zeigte den Anwesenden noch einmal eindrucksvoll, dass emotionale Verbundenheit auch auf leichtgewichtige und einfache Weise entstehen kann. Auch in Zeiten von Videokonferenzen und einer Vielzahl anderer Kommunikationstools hat Technik, die explizit darauf ausgelegt ist, Nähe über Distanz zu vermitteln, hohe Relevanz.
Wissenschaft trifft Bürger*innen
Der weitere Nachmittag und Abend gehörten den Bürger*innen. Zehn anwendungsorientierte Verbundprojekte stellten ihren aktuellen Stand vor, darunter auch erste Prototypen zum Anfassen und Testen. Die Bürger*innen besuchten die Projekte in kleinen Gruppen und gaben ehrliches, kritisches Feedback. Auch das Begleitforschungsprojekt VEREINT war mit der „Bibliothek der Nähe“ vertreten.
Im Anschluss an den regen Austausch an den einzelnen Projektständen teilten die Bürger*innen, moderiert von Prof. Dr. Marc Hassenzahl und Dr. Felicitas Muth, ihre Eindrücke noch einmal im Plenum.
Während der Diskussionen zeigte sich, dass unterschiedliche Meinungen und Vorlieben darüber herrschen, welche Ideen als relevant und interessant wahrgenommen werden und tatsächlich auch Akzeptanz finden. Eine zentrale Frage war, inwieweit technische Geräte, die Nähe vermitteln sollen, angesichts der Vielfalt an vorhandenen Kommunikationstools tatsächlich notwendig sind. Hier wird ganz klar erwartet, dass neue technische Geräte einen besonderen Mehrwert oder eine ganz besondere Qualität des Erlebens ermöglichen.
„Nähe entsteht, wenn sich die andere
Person Zeit für mich nimmt“
So positiv es bewertet wird, mit anderen über Distanz einfach und mühelos interagieren zu können, so kritisch wird es empfunden, wenn der Eindruck entsteht, dass die Beziehungspflege an die Technik abgegeben wird. Eine Bürgerin brachte es auf den Punkt: „Nähe entsteht, wenn sich die andere Person Zeit für mich nimmt.“ Diese kritische Reflektion unterstreicht die Notwendigkeit, den tatsächlichen Nutzen von Technologien sorgfältig zu prüfen und es wurde an die Wissenschaftler*innen und Expert*innen appelliert, wirklich genau hinzuschauen und zu testen, was eine Technik in ihrer Anwendung im Alltag tatsächlich bewirkt. Die angeregten Diskussionen wurden am Abend bei Buffet und kalten Getränken noch intensiv fortgesetzt.
Intensive Diskussionen und themenbezogener Austausch
Der zweite Tag des Treffens war dem themenbezogenen Austausch gewidmet. Im Barcamp-Format diskutierten die Teilnehmenden über verschiedene Themen wie z.B. Autonomie, Einsamkeit, Wirkungsmodelle, empathisches Forschen oder die Rekrutierung von Proband*innen. Das offene Format ermöglichte einen projektübergreifenden Dialog und förderte den Austausch von Ideen und Erfahrungen.
Fazit
Das BMBF-Vernetzungstreffen 2024 in den wunderbaren Räumlichkeiten der Villa Elisabeth in Berlin war eine gelungene Veranstaltung, die durch den intensiven Austausch zwischen Wissenschaftler*innen, Expert*innen und Bürger*innen geprägt war. Die Diskussionen und der Dialog zeigten, wie wertvoll die Einbeziehung der Bürger*innen in die Forschung ist und welchen Mehrwert dies für die Gesellschaft und die Wissenschaft bieten kann. Auch die Bürger*innen zeigten sich hocherfreut, sich in einem so frühen Stadium von technischen Entwicklungen einbringen zu können.
Die Veranstaltung bestätigte und unterstrich die Bedeutung einer sorgfältigen und reflektierten Herangehensweise an technologische Innovationen für die zwischenmenschliche Interaktion. Diese sollte sicherzustellen, dass sie den tatsächlichen Bedürfnissen und Erwartungen der Menschen gerecht werden, um Akzeptanz zu finden. Zudem sollte gewährleistet sein, dass die intendierten Wirkungen tatsächlich erzielt werden können und Technik echte Nähe zwischen Menschen entstehen lässt.
Alle Fotos: Nicole Braisch